Strahlender Sonnenschein. Etwa 20 Männer und Frauen sind in ihre Arbeit vertieft: Hecken werden gestutzt, Rebstöcke geharkt, Insektenhotels angebracht und Nistkästen gereinigt, eine spezielle Einsaat zwischen den Weinstockzeilen eingebracht.
Es ist der erste Arbeitseinsatz in diesem Jahr, den einige der 41 Aktiven der „Weinbruderschaft ad via regia A.D. 1670“ im Katharinengarten am Steinauer Weinberg bewältigen.
„Der Weinanbau hat hier eine sehr lange Tradition.“ Dr. Thorsten Dietrich ist Sprecher des „Kapitels Weinbruderschaft“ im Steinauer Geschichts-verein, also der Arbeitsgruppe, die sich der Wiederbelegung des Weinbaus in Steinau als traditionelle und historische Bodennutzung in der Steinauer Kulturlandschaft, insbesondere am Weinberg“ verschrieben hat.
Er weiß von der ersten urkundlichen Erwähnung im Jahr 1319 zu berichten, davon, dass der Weinberg durchgängig bis ins Jahr 1846 schriftlich dokumentiert ist. Von den Anfängen, als Wein ein wichtiges Lebensmittel war, weil er – anders als das keimträchtige Wasser – ein „reines“ Getränk war.
Er berichtet davon, wie die Römer den Wein bis zum Limes brachten. Von der Christianisierung, mit der die Gründung des Klosters Fulda einher ging, von den darauf folgenden Kirchengründungen und davon, dass somit Mess-wein benötigt wurde. An Dietrichs Ausführungen wird deutlich, wie eng die Verknüpfung zwischen der 2015 gegründeten Weinbruderschaft und dem Geschichtsverein tatsächlich ist.
„Bruderschaft“. Allein mit dem Begriff gehen die Worte „Geheimnis“ und „Ritual“ Hand in Hand. Und tatsächlich gibt es da ein, zwei Bräuche, die diesem Empfinden Rechnung tragen: Da ist zum einen der Numerus Clausus, das Synonym für eine Zulassungsbeschränkung.
„Es gibt bei uns ein Bewerbungsverfahren“, erläutert Dietrich. Über die Aufnahme entscheidet das Kapitel als Vorstand „nach Ermessenskri- terien“. Wie genau diese aussehen? Dietrich lächelt und schweigt. Und lässt sich dann doch entlocken, dass Engagement, Aktivität, Belastbarkeit, Verfügbarkeit durchaus eine Rolle spielen. „Über allem steht jedoch die Gemeinschaft“, lässt er sich noch entlocken. Und: Es gibt eine Warteliste. „Das ist auch so gewollt“, erklärt Dietrich.
Jeder Weinbruder und jede Weinschwester – von denen es deutlich weniger gibt – hat namentlich seine Parzelle zu bewirtschaften. Er ist dafür verantwortlich, wogegen Ernte und Verteilung gemeinschaftlich vonstatten gehen. „Durch die Reduzierung der Mitgliederzahl bleibt am Ende mehr Wein pro Kopf. Ein nicht zu unterschätzender Motivationsfaktor. Und: Es soll immer Menschen geben, die gerne dabei sein wollen.“
2018 wurden 900 Kilo Trauben gepresst, das sind 1000 Flaschen Wein. 30 Flaschen bekommt jeder, der allein oder auch zu zweit eine der 30 Parzellen beackert. „1/32stel bekommt aus guter Tradition die Stadt Steinau zu repräsentativen Zwecken, 1/32stel geht an den Geschichtsverein“, erläutert Dietrich, dass der Wein weder verkauft noch „in Verkehr ge- bracht“ werden darf.
20 Rebstöcke stehen auf jeder Parzelle, das Grundstück der Weinbruderschaft, das Dietrich eigens für diesen Zweck erworben und langfristig an den Geschichtsverein verpachtet hat, befindet sich am
Rande des Naturschutzgebiets am alten Weinberg, wie das Flurstück heute noch heißt, auf einem Lehm-Muschelkalk-Riff.
Angebaut werden die Rebsorten Regent und Phönix – nach ökologischen Standards, denn „da sind wir alternativ-ökologisch unterwegs.“ Die Traubenstöcke dankten es den Aktiven mit einer ersten Ernte schon nach zwei statt der üblichen drei Jahre.
Der „Phönix“, ein Weißwein aus einer aromatischen Traubensorte, kommt laut Dietrich mit einem Muskat-Anklang daher, wird fruchtig ausgebaut. Der rote „Regent“ erweist sich als gehaltvoller Wein mit Anklängen von Brombeere und Waldfrüchten, einem mediterranen Charakter und starker Farbintensität.
Verkostet werden können die exklusiven Weine beim Sommerfest am 17. August. Aktuell lagern die Flaschen, die jeder Weinbruder mit einem von Künstler Hans Schmidt gestalteten Etikett selbst bekleben muss, an einem „geheimen Ort“.
Etwas ganz Besonderes soll in diesem Herbst erstmals geerntet werden: Es gibt zwischen Autobahn und Jagdpächter-Hütte noch zwei alte, Rebstöcke, die seit dem Jahr 1826 erhalten sind. Sie wurden in diesen Tagen vom Main-Kinzig-Kreis als Naturdenkmäler ausgewiesen – der Verein verpflichtet sich zur Hege und Pflege.
Aus diesen historischen Rebstöcken hat die Bruderschaft Ableger gezogen und veredelt, 100 Setzlinge nachgepflanzt. „Dass die beiden Rebstöcke die Jahrhunderte überlebt haben, die Reblaus, die kulturellen Veränderungen – „das ist ein Wunder“, betont Dietrich. Riesling ist es, der in diesem Jahr von den Ablegern erstmals geerntet werden soll, so die Hoffnung der Weinbrüder. „Wir sind sehr gespannt“, räumt Dietrich ein.
Ein Artikel vom Hanauer Anzeiger, 17. April 2019
Text und Bilder Andrea Euler