Die Geschichte zur Wiederbelebung des Steinauer Weinanbaus im Jahre 2016
Ein Interview der KN, mit Dr. Thorsten Dietrich, Steinau im Wonnemonat Mai 2016
Frage: Herr Dr. Dietrich, wo liegen die Wurzeln für ihre Weinbegeisterung?
Antwort: Schon meine Großeltern in Bad Soden haben den Wein dem Bier vorgezogen und erhielten zwei bis drei Mal im Jahr Besuch von „Ihrem Winzer“ aus Westhofen in Rheinhessen.
Gesellige Weinabende im Kreise der Nachbarschaft, Verwandtschaft oder anlässlich der legendären Hausbesuche unseres Frisörs sind mir in lebhafter Erinnerung geblieben. Eine Weinprobe anlässlich der Auswahl des Hochzeitsweines für meine Tante im Jahre 1986, brachte mich dann persönlich mit 11 Jahren in den Genuss des edlen Rebensaftes. Meine Favoriten waren damals eine gewisse Huxelrebe Spätlese oder die Ortega Beerenauslese. Die Freude an edelsüßen Weinen ist mir bis heute erhalten geblieben.
Frage: Wie ich weiß, sind sie Rechtsanwalt und leiten eine Personal- und Rechtsabteilung. Welche Verbindung gibt es da zum Wein?
Antwort: Mit der Wahl meines Studienfaches, der Rechtswissenschaften, an der Johannes-Gutenberg Universität in Mainz, war ich nicht nur in der Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz angekommen, sondern auch in der heimlichen Hauptstadt des Weines. In unmittelbarer Nähe der Weinanbaugebiete Rheinhessen, Rheingau, Nahe und Mittelrhein sowie über 100 Weinstuben, konnte mein Wissen um die Jurisprudenz genauso wie mein Wissen um den Wein wachsen.
Weinstuben wie der Beichtstuhl oder das legendäre Weinhaus Blum sowie Weinfeste in den umliegenden Weinbaugemeinden wie z.B. Guntersblum, Nierstein und Oppenheim wurden zu weinkulinarischen Höhepunkten meines Studentenlebens.
Maßgeblich für die Wahl dieses Studienortes war die Bekanntschaft mit einem Kameraden aus Oppenheim während meiner Bundeswehrzeit bei den Fallschirmjägern in Calw.
Jener Kamerad brachte all sonntäglich zwei bis drei Flaschen Oppenheimer Wein mit aus seiner Heimat in den Nordschwarzwald. Durch persönliche Kontakte des Kameraden wurde die Studentenbude in Mainz klargemacht und so führte mich mein Weg in das goldene Mainz.
Frage: Und wie sind Sie dann nach Steinau an der Straße gekommen?
Antwort: Nach Studium, Referendariat, Promotion, Berufseinstieg und Familiengründung, führten mich und meine junge Familie die glückliche Fügung und der gute Geschmack meiner Frau auf der Suche nach einem Haus nach Steinau an der Straße.
Die besten Nachbarn der Welt, Familie Oskar und Hans Müller, integrierten uns sofort. Begleitet wurde dieser Integrationsprozess mit Wein der Sorte Bacchus aus Himmelstadt in Franken.
Frage: Und wie kam dann der Kontakt zum Geschichtsverein Steinau zustande?
Antwort: Unserem Nachbar Oskar Müller hatte ich dies zu verdanken. Er nahm mich eines Tages mit zur Jahreshauptversammlung des Geschichtsvereins Steinau. Als für den Vorstand ein zweiter Vorsitzender und ein Beisitzer gesucht wurden, nahmen wir diese Aufgaben an. Oskar Müller wurde Zweiter Vorsitzender und ich wurde Beisitzer.
Die Geschichte der Stadt Steinau an der Straße und die wunderschöne Altstadt haben mich sofort in ihren Bann geschlagen. Die drei Bände über die Geschichte Steinaus von Ernst Hartmann inspirierten mich ganz besonders.
Frage: Steinau und Wein? Wie passt das zusammen?Antwort: Der Weinanbau in Steinau hat eine lange Tradition. Die erste urkundliche Erwähnung hierfür finden wir im Jahre 1319. Es ist aber davon auszugehen, dass mit der Gründungen der Klöster und der damit verbundenen Christianisierung bereits im 8. Jahrhundert Weinanbau in unserer Heimat betrieben wurde. Bis zum Jahre 1846 hatte Steinau mit kurzen Unterbrechungen einen florierenden Weinanbau vorzuweisen. Der noch heute vorhandene Flurname des Hausberges von Steinau, der „Weinberg“, legt hierfür noch immer Zeugnis ab.
Frage: Seit dem Jahre 2015 führt der Geschichtsverein historische Weinproben durch. Wie kam es dazu?
Antwort: Solch eine Idee kann nur durch den Wein inspiriert entstehen. Sie kam mir bei der Lektüre der Hartmann Bände zum Thema Wein in dem zwischenzeitlich von meinen Nachbarn Oskar und Hans Müller gemauerten Weinkeller. Hartmann beschreibt darin unter anderem sehr ausführlich eine Weinreise von zwei Steinauer Weineinkäufern nach Franken im Jahre 1696. Die Orte Gambach, Retzbach, Thüngersheim und Erlabrunn sowie Elfershausen wurden über die alte Weinstraße von den Steinauer Weineinkäufern bereist und der dortige Wein mit nach Steinau gebracht.
Als ich meine Idee dem Vorstand des Geschichtsvereins vorstellte, war dieser gleich dafür zu begeistern. Ich bereiste daraufhin die historischen Weinorte in Franken und erwarb die Weine für die historischen Weinproben. Aufgrund der großen Nachfrage wurden im Jahre 2015 drei ausverkaufte Proben abgehalten. Als Ort für diese Veranstaltung wählten wir den Remisenkeller des Amtshauses. Auf diese Idee hatte uns meine Frau gebracht. Ein wahrer Glücksfall, wie sich herausstellte.
Als Besonderheit unserer Weinproben mit den Fränkischen Weinen, konnten wir zudem den durch Horst Winkler in seinem Weingarten in Steinau angebauten Wein kredenzen.
Frage: Herr Dr. Dietrich, in den Historischen Weinproben vermitteln Sie den Teilnehmern umfassendes Weinwissen. Wo haben Sie sich Ihr detailliertes Wissen über den Wein angeeignet?
Antwort: Im Sommer des Jahres 2014 hatte ich den VHS-Kurs des Weinhistorischen Konvents in Fulda besucht. Im gleichen Jahr trat ich diesem als aktives Mitglied bei. Viele schöne Stunden im Weinberg am Frauenberg in Fulda und vertieftes Weinwissen durch den Besuch unterschiedlichster Veranstaltungen rund um das Thema Wein förderten mein Weinwissen.
In Vorbereitung zu den historischen Weinproben im Jahre 2015 besuchte ich zudem im November 2014 einen Kurs vom Deutschen Weininstitut. Diesen schloss ich erfolgreich als „Anerkannter Berater für deutschen Wein“ ab.
Aber neben aller Theorie liebe ich den persönlichen Kontakt mit den Winzern und weingeistige Gespräche. Hier lernt man am aller meisten.
Zusammen mit dem Vorsitzenden des Geschichtsvereins Herrn Hans-Joachim Knobeloch wurden in den Historischen Weinproben die Weinreise nachgetrunken. Auch mit jeder Probe lernt man immer wieder hinzu. Bisher 6 ausverkaufte Proben mit fast 170 Teilnehmern in 2015 und 2016 zeigen das große Interesse der Steinauer am Wein.
Frage: Wie kommt jetzt der Wein heute nach Steinau? Wie kamen Sie zu der Idee?
Antwort: Durch die ausführlichen Darstellungen in den Bänden von Ernst Hartmann über den Weinanbau in Steinau, sowie durch meine aktive Mitgliedschaft im Weinhistorischen Konvent in Fulda, welcher selber einen Weingarten am Frauenberg betreibt, entstand bei mir die Idee, auch in Steinau wieder Wein anzubauen.
Nachdem ich diese Idee zuerst meiner Frau vorstellte, sagte sie mir, dass sie dann eine Champignonszucht betreiben wolle. Die Unterstützung meiner Frau für die Wiederbelebung des Steinauer Weinanbaus war maßgebliche Voraussetzung für die Umsetzung meiner Idee in die Wirklichkeit.
Die Champignonszucht war, wie sich später erst herausstellte, ein Scherz meiner Frau gewesen. Gott sei Dank!
Frage: Von der Idee zur Umsetzung. Wie ging es dann weiter?
Antwort: Als erstes musste für den Weingarten das passende Grundstück gefunden werden. Dieses sollte idealerweise am Weinberg liegen. An diesem Berg wurde wohl schon seit über 1000 Jahren Wein angebaut. Seit 1319 gibt es eine umfassende Dokumentation zum Weinbau in Steinau. So wurden unterschiedliche Grundstücke ins Auge gefasst und dank der neuen Medien und der Datenbank des Amtes für Bodenmanagement in Büdingen vorab digital in Augenschein genommen. Als Kriterien galt neben der nach Süden ausgerichteten Lage, auch die Größe des Grundstücks. Da der Weingarten 1000 Quadratmeter umfassen sollte, schieden zu kleine und zu große Grundstücke aus. Am Ostersamstag des Jahres 2015 war es dann soweit. Die Recherche hatte ergeben, dass das Grundstück in der Flur 16, Flurstück 10 mit dem Flurnamen „Weinberg“ im Eigentum von Marie Herchenröder und ihrer Tochter die „Grand Cru-Lage“ und das „Filetstück“ des Weinbergs waren. So machten sich mein Nachbar Oskar Müller und ich uns auf den Weg, bei Frau Herchenröder wegen des Grundstückes vorstellig zu werden. Mit pochendem Herzen klingelten wir bei Frau Herchenröder. Die sehr sympathische, immer noch rüstige ehemalige Inhaberin der Metzgerei Herchenröder in Steinau begrüßte uns freundlich – und dies ohne, dass wir uns vorab angemeldet hatten. Es wurde bereits in diesem ersten Termin sehr konkret verhandelt und auf Nachdruck von Frau Herchenröder auch ein konkretes schriftliches Angebot, auf einem spontan herbeigeholten Zettel abgegeben.
Nach Rücksprache mit ihrer Tochter, als Miteigentümerin des Grundstückes, wurde mir jedoch mitgeteilt, dass man die beiden nebeneinanderliegenden Flurstücke 10 und 11 nur gemeinsam verkaufen möchte.
Die Größe der beiden Flurstücke wäre jedoch für das Vorhaben und die finanziellen Mittel überproportional gewesen.
Und so sagte ich mit schwerem Herzen den beiden Verkäuferinnen ab.
Frage: Also alles umsonst?
Antwort: Nein. So schnell sollte die Wiederbelebung des Steinauer Weinbaus nicht zu Ende sein. Völlig überraschend teilte man mir nach meiner Absage mit, dass man beabsichtige das Flurstück 11 dem NABU zum Kauf anzubieten und ich damit das Frühstück 10 doch noch erwerben könnte.
Als besonderer Umstand kam in diesem Grundstückskauf hinzu, dass im Rahmen der Flurbereinigung am Weinberg die Flurstücke 10 und 11 zu einem neuen Flurstück zusammengelegt wurden. Diese Änderung war aber noch nicht in den Karten des Amtes für Bodenmanagement in Büdingen eingetragen worden. Diese Eintragung konnte aber jederzeit geschehen. In diesem Falle wäre der Kauf ebenfalls gescheitert, da die Kosten der dann notwendigen Vermessung über den Kaufpreis gelegen hätten. So nahm ich zwischenzeitlich persönlich den Kontakt mit dem NABU Vorsitzenden Josef Jobst auf, um den Kauf zu beschleunigen.
Im Rahmen des Notartermins in Steinau wurde den Verkäuferinnen und mir seitens des Notars die Widrigkeiten und Probleme sowie die großen Ungewissheiten eines solchen Kaufs vorgetragen. Die Flurbereinigung, die Vorkaufsrechte der Landwirte, das Vorkaufsrecht der Stadt etc. führten dazu, dass ich bei einem anschließenden Kaffee in Burgmannenhaus nicht gerade euphorisch war.
Da sowohl die Ortslandwirte und die Stadt keine Vorkaufsrechte geltend machten, konnte das Grundstück offiziellen von meiner Frau und mir erworben werden.
Die Freude war groß, als die Eintragung der neuen Eigentümerschaft bei uns eintraf.
Die Realisierung dieses Grundstückkaufs war wahrlich keine Selbstverständlichkeit.
Frage: Das sind ja spannende Hintergrundinformationen, die ein Unbeteiligter sonst gar nicht erfahren würde. Wie ging es weiter?
Antwort: Neben dem passenden Grundstück benötigt man in Deutschland für den Weinanbau eine entsprechende Genehmigung vom zuständigen Regierungspräsidium. In unserem Falle des Regierungspräsidiums Darmstadt, Weinbauamt Eltville. Bis zum Jahre 2015 war der Hobbyweinbau für jeden einzelnen Hobbywinzer nur bis max. 100 Quadratmeter möglich. Durch eine EU-Verordnung wurde dies Mitte des Jahres 2015 auf 1000 Quadratmeter (10 Ar/0,1 ha) erhöht. Durch ständige Kontaktaufnahme meinerseits mit dem Weinbauamt in Eltville konnte unmittelbar nach der Gesetzesänderung die Anzeige für den Anbau von 1000 Quadratmetern gestellt werden.
Mit Datum vom 15.9. 2015 erhielt ich vom Regierungspräsidium Darmstadt gegen eine Verwaltungsgebühr in Höhe von EUR 50,- die Genehmigung, in der Gemarkung Steinau an der Straße Flur 16, Flurstück 10 auf 1000 Quadratmetern Wein anzubauen.
Frage: Unglaublich, an was bei einem solchen Vorhaben alles gedacht werden muss. Jetzt war das Grundstück gefunden und die Genehmigung der Behörde eingeholt. An was mussten Sie sonst noch denken?Antwort: An die fachliche Kompetenz den Wein an- und auszubauen! (lacht). Ein solches Projekt in dieser Größenordnung kann seriös nur unter zur Hilfenahme von Fachkompetenz gelingen.
Auf meinen unterschiedlichen Weinreisen, unter anderem zu sämtlichen Weingütern mit dem Namen „Dietrich“, lernte ich den Winzer Frank Dietrich aus Großkarlbach kennen. Er war mir mit seiner bodenständigen und humorvollen Art sofort sympathisch. Er war es auch, den ich anfragte, ob er sich vorstellen könnte, das Projekt Weinanbau in Steinau fachmännisch zu begleiten. Er sagte mir sofort zu, mich bei diesem Vorhaben zu unterstützen.
Frage: Die notwendige Weitsichtigkeit und Planung für ein solches Vorhaben sind beachtlich. Zumal die bisherigen Aktivitäten bis zu diesem Punkt allein von Ihnen ohne große Außenwirkung oder vereinsseitiger Unterstützung vorgenommen wurden.
Antwort: Das ist richtig. Ich wollte mein Konzept so konkret und detailliert, wie möglich gestalten, bis ich es der Öffentlichkeit vorstellen wollte. Ich war davon 100 % überzeugt und bin deshalb auch bereit gewesen sozusagen in Vorleistung zu gehen.
Neben dem Grundstück und der Genehmigung mussten beispielsweise bereits im Sommer 2015 die Reben bestellt werden. Aufgrund der zeitlichen Dauer, die die Reben zur Veredelung brauchten, mussten diese bereits so früh bei der Rebschule in Auftrag gegeben werden. Zu dieser Zeit war ich noch gar nicht im Grundbuch als Eigentümer des Weinbergs eingetragen und die Genehmigung aus Eltville lag auch noch nicht vor. Volles Risiko! Dennoch bestellte ich 260 Rotweinreben der Sorte Regent und 260 Weißweinreben der Sorte Phoenix.
Frage: Das nenne ich mal Überzeugung! Wann sind Sie mit Ihrer Idee dann an die Öffentlichkeit getreten?
Antwort: Nachdem die vielfältigen vorbereitenden Tätigkeiten (Grundstückskauf, Genehmigung, Winzer, Rebenbestellung) und alle Eventualitäten soweit wie möglich geklärt waren, wollte ich den 1. Vorsitzenden des Geschichtsvereins, Herrn Hans-Joachim Knobeloch über meine Idee den Weinbau in Steinau wieder zu beleben, informieren.
Meine Idee war es, eine Arbeitsgruppe innerhalb des Geschichtsvereins zu gründen. Es sollten maximal 25 Mitglieder die Patenschaft für jeweils ca. 20 Reben übernehmen. Es war dies von mir eine ganz bewusste Entscheidung, den Weinanbau nicht alleine oder mit einer anderen Gruppe privat zu betreiben. Anlass dafür war ein Erlebnis von mir in Gelnhausen. Dort wird auch wieder Wein angebaut. Jedoch durch eine Privatperson. Eine Ausstrahlungswirkung dieses Vorhabens ist jedoch auf einen sehr begrenzten Bereich reduziert. Ich stellte mir eine Verankerung im öffentlichen Leben der Stadt Steinau vor. Einen neuen Verein dafür zu gründen wäre möglich gewesen, aber ich sah die kulturelle Basis und Ausrichtung innerhalb des Geschichtsvereins als optimalen Nukleus hierfür an.
Die Arbeitsgruppe sollte als sogenannte Weinbruderschaft organisiert werden. Der Name sollte Weinbruderschaft ad via regia 1670 lauten. So sollte der örtliche Bezug und der historische Kontext verdeutlicht werden. So war es im Jahre 1670 gewesen, als Steinauer Weinbauer für die Absetzung des damaligen äußerst unbeliebten Steinauer Amtmannes sorgten, nachdem unter anderem ihre Weinberge durch dessen Vieh bewusst verwüstet wurden.
Frage: Und wie reagierte der Vorstand des Geschichtsvereins auf Ihre Idee des Weinanbaus und eine Weinbruderschaft innerhalb des Geschichtsvereins zu gründen?
Antwort: Der 1. Vorsitzende, Herr Hans-Joachim Knobeloch, hat die Idee von Anfang an positiv aufgenommen und entsprechend unterstützt. Er bat mich diese dem Vorstand des Geschichtsvereins vorzustellen.
Hierfür erstellte ich eine umfassend illustrierte Powerpoint Präsentation und die kommende Vorstandssitzung wurde in meinem Weinkeller abgehalten. Der Vorstand votierte positiv für meine Vorschläge und die Umsetzung der Idee in Steinau den Weinbau wieder zu beleben wurde einstimmig beschlossen. Ich hatte so zusagen mein offizielles Mandat. Mit Wein, der von uns für den Anbau beabsichtigten Rebsorten Regent und Phönix, klang die Sitzung entsprechend aus.
In der Folgezeit erarbeitete ich eine detaillierte Geschäftsordnung für die Weinbruderschaft. In ihr wurden die Rechte, Pflichten, Organisation und alles rund um den geplanten Weinanbau geregelt. Es wurde darin auch u.a. festgelegt, dass sowohl die Stadt Steinau als auch der Geschichtsverein Steinau jeweils 1/32 Anteil der tatsächlichen Weinernte für repräsentative Zwecke zur Verfügung gestellt bekommen sollte. In dem sogenannten Kapitel (Vorstand) der Weinbruderschaft sollten 4 Personen mitwirken. Hierfür erklärten sich die Weinbrüder Oskar Müller, Uli Med und Hermann Doll dankenswerterweise bereit. Die Weinbrüder Adolf Fuchs und Hans Müller sind faktisch Teil dieses Kapitels, auch wenn sie es nicht offiziell so lesen wollen. In der Jahreshauptversammlung des Geschichtsvereins wurde die geänderte Satzung und die Geschäftsordnung der Weinbruderschaft bestätigt und verabschiedet. Im Rahmen dieser Mitgliederversammlung präsentierte ich erneut das Projekt Weinanbau und die dazugehörige Organisation im Rahmen der Weinbruderschaft. Die Entscheidung hierüber fiel einstimmig positiv aus durch die Mitgliederversammlung des Geschichtsvereins. Durch die Weinbruderschaft wurden bis heute ca. 30 neue Mitglieder, insbesondere auch jüngere Jahrgänge, für den Geschichtsverein geworben. Die Mitgliedschaft in der Weinbruderschaft setzt nämlich die Mitgliedschaft im Geschichtsverein voraus und die Zahlung einer einmaligen Aufnahmegebühr in Höhe von EUR 200,-.
Frage: Das Wort Weinbruderschaft hört sich ein bisschen nach Geheimbund an. Ist dies so?
Antwort: (lacht) In vino veritas. Also die ehrliche Antwort : nein. Es ist ein allgemein üblicher Begriff für Gesellschaften, die sich mit Interesse dem Wein widmen. Allerdings haben wir als Zeichen unserer Zusammengehörigkeit bestimmte Gegenstände und Aufnahmerituale.
Frage: Jetzt bin ich aber gespannt!
Antwort: Die feierliche Aufnahme der Weinbrüder und -schwestern erfolgt durch das Kapitel, dessen Sprecher ich bin. Hierzu erhält jeder Weinbruder bzw. jede Weinschwester ein mundgeblasenes, historisches Weinglas. Dabei handelt es sich um eine getreue Nachbildung eines Beerennuppenglasses (Waldglas) aus der Zeit um 1670. Ich hatte eine Glashütte mit langer Tradition mit Stammsitz im Thüringischen Lauscha dafür auserwählt. Jedes aktives Mitglied erhält dieses Glas mit entsprechender Gravur der Weinbruderschaft feierlich übergeben. Es wird dann daraus natürlich auch direkt angestoßen.
Wir bekleiden uns als Kapitel für diese feierliche Zeremonie entsprechend würdevoll mit Roben, Handschuhen, Hüten und Scherpen.
Frage: Herzlichen Dank für diese Einblicke. Spannend. Da bekommt man direkt Lust mit dabei zu sein. Die personelle Organisation stand damit. Wie ging es im Weinberg weiter?
Antwort: Im Winter 2015 wurde der Weinberg von Weinbruder Frank Amend gepflügt und damit für die kommende Pflanzung im Frühjahr 2016 vorbereitet.
Die völlig überalterte, teilweise abgestorbene und ungepflegte Hecke wurde von den Weinbrüdern Oskar und Hans Müller, Rainer Föller sowie Uli Med teilweise fachmännisch auf den Stock gesetzt und die Abschnitte wurden durch einen Fachbetrieb aufgrund meiner Kontaktaufnahme kostenlos zerkleinert und entsorgt.
Im Frühjahr 2016 begannen wir mit dem Bau des Wildschutzzaunes. Dies geschah durch mehrere Arbeitseinsätze der Weinbrüder. Es war jede Menge Arbeit. Das gesamte Gelände musste aufgrund der vorhandenen Wildschweinpopulation am Weinberg eingezäunt werden. Im April wurde sodann der Weinberg noch einmal mit einer Scheibenegge von Weinbruder Frank Amend bearbeitet.
Frage: Für einen Laien sind das sehr viele Arbeitsschritte, die notwendig sind einen Weinberg vorzubereiten. Gab es hier noch weiteres zu beachten?
Antwort: Ja. Wir haben uns für eine besondere Bewirtschaftung des Weinberges entschieden. So wollen wir nach biodynamischen Grundsätzen den Weinberg bewirtschaften. Die Lehre dafür gehen im wesentlichen auf Rudolf Steiner bzw. die entsprechenden Präparate auf Maria Thun zurück. In diesem Sinne habe ich den Boden vor der Pflanzung unter Berücksichtigung der entsprechenden Mondphase bearbeitet.
Frage: Das wird ja immer interessanter. Ich kann gar nicht die Vielschichtigkeit eines solchen Vorhabens fassen. Sie hatten eben die Berücksichtigung von Mondphasen bei den Arbeiten am Weinberg erwähnt. Wie kann man sich die Bodenvorbereitung konkret vorstellen?
Antwort: Ich habe mich intensiv mit dem biodynamischen Weinanbaulehren auseinandergesetzt. Im Grunde geht es darum, den Boden wieder energetisch aufzuladen und alles was mehr werden soll zu vermehren und alles was weniger werden soll entsprechend zu reduzieren. Es ist für mich eine Art Homöopathie für den Boden. Dies führt zur Stärkung der Pflanzen und macht sie gegen Krankheiten unempfindlich. Der Einsatz von Chemie kann damit vermieden werden. Klingt etwas gewöhnungsbedürftig, aber schauen Sie sich z.B. die Methoden eines der berühmtesten Weingüter der Welt an: Romanée-Conti im Burgund. Das Ergebnis spricht für sich.
Ich habe z.B. an 3 aufeinanderfolgenden Tagen in der entsprechenden Mondphase ein so genanntes Hornmistpräparat aus Pferdedung auf den Weinberg aufgesprüht, welches ich zuvor jeweils 20 Minuten lang angerührt habe.
Frage: Unglaublich. Diese Art der Bewirtschaftung war mir bisher überhaupt nicht bekannt. Da darf man ja gespannt sein auf das Ergebnis. Allein dieser Aspekt hat Potential für eine eigene weitere Story.
Antwort: (lacht) ja, das ist ein echt spannendes Thema. Können wir gerne vertiefen.
Frage: Ich hatte bei meinem letzten Besuch am Weinberg eine Bodenplatte gesehen. Was hat es damit auf sich?
Antwort: Dies ist eigentlich auch eine andere Geschichte. Seit Ende des Jahres 2015 betrieb ich neben dem Weinbergprojekt noch ein weiteres. Es war das Projekt: Wetterschutzhütte.
In unmittelbarer Nähe zum Weingarten sollte eine Wetterschutzhütte für die Öffentlichkeit errichtet werden. Dies ist im Außenbereich nur mit Genehmigung der Unteren Naturschutzbehörde möglich. Hierfür habe ich einen umfassenden und detaillierten Antrag ausgearbeitet (u.a. genaue Beschreibung der Maßnahme, Schreiben der Stadt Steinau, Schreiben des Naturparks Hessischer Spessart, konkrete Baupläne der Hütte, Angabe und Beschreibung der Wanderwege, etc.).
Frage: Ein aufwendiges und vor allem kostspieliges Projekt. Wie konnten Sie dies gewährleisten?
Antwort: Die Wetterschutzhütte wurde mir im Rahmen eines Besuchs von Alt-Sachsenhausen von meinem lieben Sanges- und Weinbruder Matthias Hofacker versprochen. Ihm hatte ich im Mai 2015 von meinen Plänen erzählt und er war so begeistert, dass er sich unmittelbar um eine Mitgliedschaft bewarb und im Zuge dessen die Wetterschutzhütte zimmern und stiften wollte.
Frage: Das ist ja unglaublich!
Antwort: Ja, das ist es. Aber wahr! Es ist eine unvorstellbar großzügige Geste von Matthias Hofacker, der in Bad Soden die Zimmerei Hofacker betreibt. Ich bin unglaublich stolz darauf, einen solchen Menschen in der Weinbruderschaft zu haben. Ein Mann der Tat und nicht der nicht gehaltenen Versprechungen. In meinem Elternhaus sagte man zu solchen Menschen: „Der hat einfach e Art!“.
Aber wir haben noch weitere sehr uneigennützige Weinbrüder in unserer Gemeinschaft. So stiftete die Familie Fuchs die Tore zum Weingarten, Weinbruder Amend setzte seine landwirtschaftlichen Geräte ein und die Familie Med entschied sich z.B. einen speziellen voll ausgestatteten Weinbergschlepper für die Weinbergbearbeitung anzuschaffen und stellte die Sprinter zur Abholung des Materials und der Reben kostenlos zur Verfügung. Ein Sympathisant unseres Vorhabens, Herr Helge Beck, hat ein riesiges Insektenhotel in mühevoller Kleinarbeit gebaut und wird dieses der Weinbruderschaft schenken. Auch die Stadt Steinau hat uns bei unserem Vorhaben vielfältig unterstützt. Es gibt noch weitere Beispiele.
Frage: Ein Musterbeispiel für eine gesunde Gemeinschaft. Heutzutage eine absolute Ausnahme und fast nicht mehr anzutreffen. Ich bin erfreut über so viel Selbstlosigkeit und Idealismus. Wie ging es mit der Hütte weiter?
Antwort: Ich kann es auch manchmal nicht glauben. Wir sind einfach eine super Truppe! Ein Geschenk, solche Menschen kennen zu dürfen. Alle zusammen. Ein solches Projekt geht nur gemeinsam im Team. Hier möchte ich insbesondere meine Kapitelkollegen Oskar Müller, Uli Med, Hermann Doll und Hans Müller sowie Adolf Fuchs namentlich nennen.
Für die geplante Wetterschutzhütte am Weinberg diente uns eine bereits bestehende Wetterschutzhütte in der Gemarkung von Bad Soden am so genannten Hohen Kreuz. Nach einem gemeinsamen Ortstermin Ende des Jahres 2015 war für uns klar, dass diese als Vorlage dienen sollte.
Frage: Ich gehe davon aus, dass dann der bürokratische Teil kam?
Antwort: Ja. Aber dieser war dank Frau Deuse-Wodicka von der Unteren Naturschutzbehörde sehr konstruktiv, lösungsorientiert und zeitlich sehr schnell abgearbeitet. Im März hatte ich bei der Behörde in Gelnhausen einen persönlichen Termin, nachdem ich zuvor den ausführlichen Antrag eingereicht hatte. Der Termin begann um 17 Uhr und ich verließ das Amtsgebäude um 21:15 Uhr mit der mündlichen Zusage, dass die Wetterschutzhütte gebaut werden dürfe. Bereits in der Woche vor Ostern erhielten wir die offizielle Genehmigung dafür. Dabei wurde der Weinanbau auf dem Grundstück als Ausgleichsmaßnahme anerkannt und ergab abzüglich der Fläche für die Wetterschutzhütte über 8.000 Biotoppluspunkte.
So konnte nach Ostern mit dem Bau der Bodenplatte durch die Weinbrüder Hans und Oskar Müller sowie Adolf Fuchs begonnen werden.
Auch die schnelle und reibungslose Genehmigung der Wetterschutzhütte war ähnlich wie der Kauf des Grundstückes keine Selbstverständlichkeit. Herzlichen Dank an dieser Stelle auch noch mal an Frau Deuse-Wodicka.
Frage: Parallel dazu musste ja auch noch der Weinberg für die Pflanzung vorbereitet werden. Pfähle und Drähte mussten ja noch aufgestellt und gezogen werden.
Antwort: Genau. Mit dem Ziel am 30.4.2016 die Reben zu pflanzen, begannen wir im April mit der Erstellung des Drahtrahmens. Also der verzinkten Stickel und Drähte als Wachstumshilfe für die Reben.
Dafür wurden das Material von den Weinbrüdern Uli Med, Oskar Müller, Hans Müller, Martin Mascher und Adolf Fuchs in Großkarlbach in der Pfalz abgeholt. Dort bekamen die Weinbrüder dann noch eine ausführliche Einweisung durch unseren Winzer Frank Dietrich.
162 Stickel und über 600 m Draht wurden in mehreren Arbeitseinsätzen durch die Weinbrüder verarbeitet. Dies bei teils widrigen Wetterbedingungen. Hier zeigte sich die Motivation und der Einsatzwille der Weinbrüder und -schwestern. Einfach klasse.
Frage: Jetzt fehlten nur noch die Weinreben.
Antwort: Richtig. Als am 29.4.2016 die Weinreben durch Weinbruder Alexander Med in der Rebschule in der Pfalz abgeholt wurden, war alles für die Pflanzung am kommenden Tag bereitet. Für die Pflanzung der Weinreben mussten über 580 mindesten 40 cm tiefe Pflanzlöcher in den teils steinig- lehmigen Boden gegraben werden.
Frage: Man hört heutzutage sehr viel von „Terroir“ im Zusammenhang mit Wein. Wie würden Sie dieses Terroir des Steinauer Weinbergs beschreiben?
Antwort: Wenn man Terroir als spezielle Umweltbedingungen im Weinberg versteht, also von der Natur bestimmt, dann ist festzustellen, dass als oberste Bodenschicht ca. 40 cm Lehm vorhanden ist. Dieser ist mit Kalksteinen durchsetzt. Denn beim Weinberg handelt es sich um ein ca. 240 Mio. Jahre altes Muschelkalkriff. Der Muschelkalk am Weinberg liegt über Sandstein, der sich vor ca. 350 Mio. Jahren hier abgelagert hatte.
Teilweise haben wir auch einzelne Basaltbomben als Überbleibsel des Vulkanausbruches des Vogelsbergs von vor ca. 15 Mio. Jahren im Weinberg gefunden.
Der Weinberg ist nach Süden ausgerichtet. Wir haben die Sonne von ihrem Aufgang bis zum Untergang auf dem Weinberg. Es ist der Berg, an dem im Winter der Schnee als erstes in Steinau taut. Im Norden bietet der Wald dem Weinberg Schutz. Hinzu kommt, dass das Kinzigtal insgesamt ein besonderes Klima bietet.
Frage: Ist denn mittlerweile auch schon etwas bei den frisch gepflanzten Reben zu erkennen?
Antwort: Ja. Es war schon eine sehr spannende Zeit, ob sich die harte Arbeit lohnen würde. Aber bereits nach 1 Woche waren die ersten Triebe der Reben zu erkennen. 2 Wochen nach der Pflanzung hatten fast alle Reben ausgetrieben. Die restlichen wenigen Nachzügler haben aber noch weitere 2 Wochen Zeit. Bis jetzt sieht es sehr gut aus. Wir sind sehr zufrieden mit dem Wachstumsverlauf.
Aber auf die erste Ernte müssen wir noch 2 Jahre warten. Jetzt heißt es erstmal für die Reben alle Energie in Wachstum, vor allem der Wurzeln zu legen. Als Winzer braucht man eben Geduld.
Frage: Da bin ich ja mal gespannt, was es in 2 Jahren zu berichten gibt. Sie hatten bereits den naturverbundenen Ansatz Ihres Weinanbaus erwähnt. Was bedeutet dies konkret?
Antwort: Neben der Biodynamik bedeutet dies, dass sich der Weingarten in die Natur und die vorhandene Kulturlandschaft des Kinzigtals einbindet. Wir haben hierzu auch alte Kulturpflanzen wieder auf dem Gelände des Weingartens angepflanzt. Dabei handelt es sich um einen Mispel-, Mandel-, Apfel- und einen Weinbergsquittenbaum. Diese wurden, neben 12 Rosenstöcken für die Rebzeilen, sämtlich von Weinbrüdern gespendet.
Frage: Wie ist es Ihnen gelungen, diese Bereitschaft zur finanziellen Beteiligung zu wecken?
Antwort: Die Bereitschaft sich persönlich und finanziell für die Sache der Weinbruderschaft einzusetzen musste nicht erweckt werden. Sie war bei allen von Anfang an gegeben. Jeder Weinbruder zahlt seinen Mitgliedsbeitrag an den Geschichtsverein und eine Aufnahmegebühr an die Weinbruderschaft in Höhe von EUR 200,-. Von den Aufnahmegebühren wurden die Reben, der Zaun und der Drahtrahmen finanziert. Die Weinbruderschaft finanziert sich selbst. Ich sah es jedoch in meinem Amt als Sprecher der Weinbruderschaft an, weitere Mittel für das Projekt zu generieren. So konnte durch meine persönliche Ansprache zudem unterschiedliche Spenden und Zuschüsse z.B. in Form der Wetterschutzhütte, für die Gebühren der unterschiedlichsten Genehmigungen in Höhe von insgesamt ca. EUR 10.000,- zusätzlich der Weinbruderschaft zugeführt werden.
Herzlichen Dank an dieser Stelle noch einmal allen Unterstützern und Förderern der Weinbruderschaft.
Frage: Herzlichen Dank für dieses Gespräch.
Die Fragen stellte Margit Strott-Heinrich von den Kinzigtal Nachrichten